Gewalt im Fußball

"Da reden Personen die Keine Ahnung haben."

Helmut Spahn war fünf Jahre lang Sicherheitsbeauftragter des DFB, heute arbeitet er beim ICSS in Katar. Im Interview spricht er über die Lage in deutschen Stadien. Eine Zunahme der Gewalt sieht er nicht, vielmehr warnt Spahn vor der Einmischung der Politik und weiteren Repressionen gegen Fans.

Helmut Spahn, momentan kursiert eine Debatte über die zunehmende Gewalt im deutschen Fußball. Was halten Sie davon?
Dazu muss man sich die Daten und Fakten anschauen und Emotionen außen vor lassen. Wenn man das tut, kommt man zu einem eindeutigen Ergebnis: Es gibt eine Vielzahl von Vorfällen, die verhindert werden sollten. Aber die Situation ist bei weitem nicht so dramatisch, wie sie wahrgenommen wird. Man muss es mal so deutlich sagen: Es unterhalten sich teilweise Personen über Themen wie Pyrotechnik, Gewalt, Stadionverbote oder Sicherheitsrichtlinien, die von der Materie nullkommanull Ahnung haben. Das Problem ist, dass die Medienmaschine so immer wieder mit dem Thema angeheizt wird und damit eine gewisse Stimmung erzeugt wird.

Woran liegt das?
Wir erleben eine unglaubliche mediale Aufmerksamkeit für den Fußball. Dadurch wird das »Produkt«, ich benutze mal den Begriff der DFL, in extremster Weise promotet. Es gibt Unmengen von Fernsehsendungen und Zeitungen, die mit Fußball gefüllt werden. Die Kehrseite ist, dass über die negativen Seiten des »Produkts« genauso expansiv berichtet wird. In der Saison 2010/11 gab es 846 Verletzte in Erster und Zweiter Bundesliga, im Übrigen bei weitem nicht alle verursacht aufgrund gewalttätiger Auseinandersetzungen. Jeder Verletzte ist einer zu viel, aber diese Anzahl weist das Oktoberfest an einem einzigen Tag auf. Doch im Fußball wird gleich von bürgerkriegsähnlichen Zuständen gesprochen. Und man hat in der Berichterstattung den Eindruck, als wenn durch den Fußball unsere Republik aus den Angeln gehoben wird.

Was dazu führt, dass immer härtere Strafen gefordert werden.
Mein Vater ist 82, wenn der die Zeitung aufschlägt und von »Chaoten und Irren beim Fussball« liest, dann sagt er auch: »Die muss man wegsperren. Es müssen härtere Strafen her.« Nur hat er sich mit der Materie noch nicht eingehend beschäftigt. Durch die aufgebauschte Stimmung kommt es dazu, dass man das Problem nicht mehr seriös lokalisieren kann. Wenn ich einen Schnupfen habe und der Arzt amputiert mir daraufhin den rechten Unterschenkel, dann bringt das auch nichts.

Bei der diesjährigen Sicherheitskonferenz stellten die Verbände als mögliche Maßnahme eine Verlängerung der Stadionverbotslaufzeiten auf bis zu zehn Jahre vor. Ist das auch ein Behandlungsfehler?
Diese Maßnahme richtet sich gegen eine kleine Gruppe von Personen, die immer wieder auffällig werden. Wenn ich bei denen sehe, dass sie teilweise fünfmal durch gewalttätige Aktionen aufgefallen sind, dann muss ich konstatieren: Da greift der erzieherische Effekt nicht mehr, da sollte es in diesen Ausnahmefällen zu einem längeren Ausschluss kommen. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass man mit mehr Polizei, mehr Restriktionen, mehr Überwachung das Problem nicht löst. Momentan müssen die Verbände aber in der Außendarstellung etwas transportieren, weil der politische Druck wächst, und greifen dabei auf altbekannte Instrumente wie die Verlängerung der Stadionverbotslaufzeiten zurück.

Während Ihrer Zeit als Sicherheitsbeauftragter wurde die Höchstdauer der Stadionverbote von fünf auf drei Jahre gesenkt. Einige Personen innerhalb des Verbandes taten das als populistische Maßnahme ab.
Wir haben uns auf dem Fan-Kongress 2007 mit den Fans, der Polizei und den Vereinen zusammengesetzt und offen diskutiert. Das war eine absolut ernstgemeinte und sinnvolle Veranstaltung und kein Werbe-Gag. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Verkürzung von fünf auf drei Jahre sinnvoll sein kann. Auch um einen Schritt auf die Fans zuzugehen und einen guten Willen zu zeigen. Zum damaligen Zeitpunkt tobten auch einige Innenminister, doch als wir ihnen unser Konzept vorgestellt haben, sagten sie: »Das können wir nachvollziehen, lass es uns probieren.« Mit dem Ergebnis, dass es keine Zunahme der Gewalt gab, sondern mehr Kommunikation und Verständigung. Deswegen wurden auch die Richtlinien in der Folge nicht geändert – 2008, 2009, 2010 und 2011 nicht. Und mal ehrlich: Es ist an den Haaren herbeigezogen, dass jemand das Risiko eines Stadionverbots eher eingeht, weil es nicht mehr um fünf, sondern um drei Jahre geht.

Einige Innenminister fordern Alkoholverbote oder den Ausschluss von Gästefans. Wir sprachen gerade über die überzogene Gewalt-Debatte. Warum treten Verbandsvertreter den Drohungen der Politik nicht energischer entgegen?
Eins mal nebenbei: Es besteht kein Zusammenhang zwischen dem Alkoholausschank im Stadion und gewalttätigen Auseinandersetzungen. Das belegen unzählige wissenschaftliche Erhebungen zu diesem Thema. Ich glaube, dass es aufgrund des Drucks und des Hypes sportpolitisch sehr schwer für einen Funktionär von DFB und DFL ist, sich hinzustellen und zu sagen: »Diese Dynamik ist überzogen.« Grundsätzlich ist es teilweise auch so, dass Politiker über den Fußball die Öffentlichkeit suchen. Andere Themen wie Datenschutz oder Kriminalstatistiken sind medial nicht so transportabel. Wenn sich aber ein Politiker hinstellt und sagt: »Die Gewalt im Fußball nimmt überhand«, dann wird sein Name in der Zeitung gedruckt.

Damit wäre der Fußball nur ein Instrument.
Auch Polizeigewerkschaften versuchen, über den Fußball ihre Interessen zu vertreten. Wenn da von 1,5 Millionen Arbeitsstunden der Polizei rund um den Fußball die Rede ist, dann schreckt der Außenstehende auf. Wenn man aber aufführt, dass dabei auch weit über 20 Millionen Zuschauer geschützt werden, das Zustandekommen der Zahl thematisiert und diskutiert, dann interessiert das keinen. Damit sind wir beim Ausgangspunkt: Die derzeitige Debatte wird bestimmt von persönlichen Meinungen, Interessen und Emotionen. Und zwar auf allen Seiten, eben auch bei Medien, Politikern, Funktionären und Fans.

Viele Fangruppierungen vermissen den Dialog. Warum funktioniert dieser bisher nicht?
Die organisierten Fangruppen können insbesondere über die Neuen Medien ihre Meinungen transportieren, der Familienvater im Stadion eher nicht. Wir haben derzeit sieben oder acht unterschiedliche Interessengruppen im Stadion, da ist es schwierig, die Meinung der Fans und den richtige Ansprechpartner herauszufiltern. Trotzdem darf das nicht dazu führen, dass man den Kopf in den Sand steckt. Es ist besser, alle an einen Tisch zu bringen. Der Dialog ist immens wichtig.

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