Ein gelungener Spiegel-Online Artikel zur Saison 2006/2007 beschreibt die Situation sehr gut, diesmal fehlte nur 1 Punkt zur Liga 2:

Zurück aus dem schwarzen Loch

Von Ronny Blaschke, Magdeburg

Der 1. FC Magdeburg war der einzige Europacupsieger der DDR - und nach der Wende schnell in der sportlichen Bedeutungslosigkeit verschwunden. Jetzt steht das Team nach sensationellem Durchmarsch vor dem Aufstieg in die Zweite Liga.Aus Datenschutzgründen wird Ihre IP-Adresse nur dann gespeichert, wenn Sie angemeldeter und eingeloggter Facebook-Nutzer sind. Wenn Sie mehr zum Thema Datenschutz wissen wollen, klicken Sie auf das i.

Nach den Spielen seiner Mannschaft wandert Volker Rehboldt stets über den Rasen. Er blickt dann mit aufgerissenen Augen auf die jubelnden Fans, genießt die Gesänge und zeigt stolz, wie eine Trophäe, seinen blauweißen Schal. Rehboldt ist Präsident des 1. FC Magdeburg. Die Ehrfurcht vor der großen Kulisse, die sich in seinen Augen widerspiegelt, in seinen Worten und in seiner großen, gedrungenen Statur, steht symbolisch für das Stimmungsbild des Vereins: Der FCM ist von seiner Klasse selbst überrascht – und vom möglichen Durchmarsch aus der Oberliga in die Zweite Bundesliga. Bei einem Sieg im Heimspiel am Samstag gegen Spitzenreiter FC St. Pauli ist Magdeburg aufgestiegen.

Dass Rehboldt vielleicht bald einem Proficlub vorsteht, ist eine mittlere Sensation. Jahrelang war der FCM im schwarzen Loch der ostdeutschen Kultvereine gefangen. Die meisten Anhänger lebten ihr Fanleben in der Vergangenheit. Als einziger DDR-Verein gewann Magdeburg 1974 den Europacup der Pokalsieger, im Finale gelang ein 2:0 gegen den AC Mailand. Drei Meisterschaften und sieben Pokalsiege komplettieren die Liste der Erfolge.

Nach der Wende aber versank der FCM wie viele andere ostdeutsche Traditionsvereine in der Tiefebene des Fußballs. Mit einem Unterschied: Magdeburg ist sportlich nie abgestiegen. 1991 verpasste das Team die Qualifikation für den Profifußball. Auch der Sprung in die neugegründete Regionalliga misslang. Nach einer Insolvenz 2002 folgte der Sturz in die Oberliga. Der Club nistete sich ein im Chaos und verschwendete Millionen. Mit Grausen erinnert sich Rehboldt an die Tournee der Torturen, an die Spiele in der Provinz, an Mitleid und Häme.

"Wir wollten den Verein nicht sterben lassen", sagt er. Längst ist der Umbruch gelungen, und zurzeit feiert der FCM seine Renaissance. Bei den Heimspielen war es fast ein bisschen wie in alten Zeiten. Beim Ostderby gegen Union Berlin war die Magdeburger Innenstadt bereits zwei Stunden vor dem Anpfiff für Autos kaum mehr passierbar. Die überfüllten Straßenbahnen mussten ihre Fahrt vor der Elbüberquerung stoppen, weil hunderte Fans die Brücke in Beschlag genommen hatten. Fußball in Magdeburg ist wieder chic.

Neues Wohnzimmer

Das liegt auch am neuen Wohnzimmer. Das brüchige Ernst-Grube-Stadion, in der Nähe der Bördelandhalle gelegen, der Heimat der Magdeburger Bundesliga-Handballer, ist einem schmucken 30-Millionen-Neubau gewichen. Seit dem Umzug im vergangenen Jahr scheint der FCM wie verwandelt zu spielen. Das letzte Heimspiel der Saison gegen den bereits als Aufsteiger feststehenden FC St. Pauli ist seit langem ausverkauft.

Es ist wahrscheinlich, dass Dirk Heyne das Stadion dann mit Bier getränkten Haaren verlassen wird. Seit 2003 ist er Magdeburgs Trainer. Heyne verkörpert den FCM des neuen Jahrtausends wie kein anderer. Er ist ein Fachmann, er kommentiert sachlich und gelassen. Nie würde er mit Wortgirlanden nach Effekten haschen.

In den Pressekonferenzen schaut er verschüchtert zu Boden und nennt seine Spieler beim Vornamen. Für ihn scheint selbst der zehrende Aufstiegskampf ein Familienfest gewesen zu sein: "Jeder vertraut jedem und jeder hilft jedem." Acht Einheimische stehen im Kader. Zwölf Spiele lang war die junge, spielstarke Mannschaft ungeschlagen - bis zur 2:4-Niederlage am vergangenen Wochenende bei Kickers Emden, die den Club noch zittern lässt. Dennoch kann Heyne schon lange nicht mehr unerkannt durch die Stadt gehen. Zu groß sind Freude und Stolz der Magdeburger.

Vielleicht bauen sie ihrem Trainer bald ein Denkmal. Denn der 49-Jährige steht für Zukunft und Vergangenheit. 323 Oberliga- und 34 Europapokalspiele bestritt der ehemalige Torwart für den FCM. Nach der Wende spielte er in Mönchengladbach. Dass er nach seiner Spielerkarriere nach Magdeburg zurückkehren würde, war ihm lange klar: "Ich wollte unbedingt helfen."

140 Geldgeber

Auch in der Chefetage traten neue, verlässliche Kräfte auf, mit ihnen kamen Besonnenheit und Konstanz. „Wir haben eine Traditionsmarke wieder zum Leben erweckt", sagt Clubchef Rehboldt, ein leitender Angestellter der Magdeburger AOK. Mit dem neuen Stadion wuchsen die Vermarktungsmöglichkeiten und das Zuschauerinteresse. Lediglich 300 Dauerkarten hatte der Verein vor der Saison verkauft – inzwischen pilgert die halbe Stadt in die Arena. „Der Verein ist in eine neue Dimension vorgestoßen", erzählt Rehboldt, "alle Fans, die die Spiele jahrelang nur am Videotext verfolgt haben, sind wieder im Stadion."

Mit dieser Aufbruchsstimmung steht der 1. FC Magdeburg symbolisch für die wachsende wirtschaftliche Vernunft im ostdeutschen Fußball. Nicht nur der FCM hat aus den Chaosjahren gelernt. Lange Zeit waren die Abhängigkeiten zu groß. Als einer von wenigen Investoren pumpte die "Kinowelt" von Filmrechtehändler Michael Kölmel Millionen in den Club, ähnlich sah es bei Dynamo Dresden, Union Berlin oder Sachsen Leipzig aus. Als die Kinowelt Pleite ging, standen die Ostvereine vor dem Kollaps.

In Regionen ohne Großkonzerne mussten nicht nur Volker Rehboldt und seine Kollegen einen Sponsorenpool mit mittelständischen Unternehmen aufbauen. Inzwischen ist der Sponsorenpool des FCM auf 140 Geldgeber angewachsen. Auch die Spieler werden leistungsgerecht entlohnt. Und die Geschäfte führen Personen mit Sachverstand aus der Region. Der Verein erhält die Lizenz ohne Auflagen.

"Der Erfolg wird nicht mehr erzwungen, es wird langfristig gedacht", sagt der Präsident des Nordostdeutschen Fußball-Verbandes, Hans-Georg Moldenhauer - ein Magdeburger. Auch in der Zweiten Liga will sich der FCM nicht übernehmen. Der Etat dieser Saison (2,5 Millionen Euro) würde sich aber durch Fernseheinnahmen verdreifachen. "Wir werden unseren Weg weitergehen, er hat sich schließlich bewährt", sagt Präsident Rehboldt. Er ist ein geduldiger Mann, er hat es nicht eilig, die Zeit im schwarzen Loch war lang genug

Abschlußtabelle

Platz

Verein

Spiele

S

U

N

Tore

Diff.

Punkte

1.

FC St. Pauli

36

17

12

7

52:32

 +20

63

2.

VfL Osnabrück

36

17

10

9

59:43

 +16

61

3.

1. FC Magdeburg (N)

36

16

12

8

52:41

 +11

60

4.

Kickers Emden

36

16

11

9

50:41

 +9

59

5.

Wuppertaler SV Borussia

36

16

9

11

59:49

 +10

57

6.

Hamburger SV II

36

15

11

10

56:46

 +10

56

7.

Dynamo Dresden (A)

36

16

7

13

54:45

 +9

55

8.

SV Werder Bremen II

36

15

7

14

53:47

 +6

52

9.

VfB Lübeck

36

15

6

15

53:43

 +10

51

10.

Fortuna Düsseldorf

36

13

12

11

50:47

 +3

51

11.

Rot-Weiß Erfurt

36

13

11

12

41:44

 -3

50

12.

1. FC Union Berlin (N)

36

13

9

14

45:39

 +6

48

13.

Rot Weiss Ahlen (A)

36

13

9

14

48:52

 -4

48

14.

Borussia Dortmund II (N)

36

14

6

16

42:47

 -5

48

15.

Holstein Kiel

36

13

9

14

42:52

 -10

48

16.

Borussia Mönchengladbach II (N)

36

9

8

19

45:62

 -17

35

17.

Bayer Leverkusen II

36

8

10

18

40:58

 -18

34

18.

Hertha BSC Berlin II

36

8

8

20

31:55

 -24

32

19.

SV Wilhelmshaven (N)

36

7

9

20

40:69

 -29

30

Legende

 

Aufsteiger in die 2. Bundesliga

 

Absteiger in die Oberliga

(A)

Absteiger der letzten Saison aus der 2. Bundesliga

(N)

Aufsteiger der letzten Saison aus der Oberliga

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